UdZPraxis 2-2016

47 Im Fokus | UdZ Praxis Su: Das wäre eine Art der Möglichkeit der Persönlichkeitsentfal- tung und der Sinnfindung in der täglichen Tätigkeit für jeden. Spontan würde ich dort aber Schwierigkeiten sehen, wenn ich an die wirtschaftlichen Grundlagen denke. Denn es könnte zu- mindest in der ersten Zeit dieses Umschwungs Probleme mit der Verteilung geben. Würde so etwas in der Gesellschaft sofort akzeptiert sein? Denn es sollte ja nicht um das Existenzminimum gehen, was die Leute als bedingungsloses Grundeinkommen be- kämen, sondern um so viel, dass es zu einemguten Lebenmit der Möglichkeit zu kultureller Teilhabe, Reisen etc. reicht. Und viele könnten mit dem Modell nicht einverstanden sein, was wieder- um zu Konflikten innerhalb der Gesellschaft führen würde. Denn Menschen brauchen Zeit, um aus ihrem alten schematischen Denken herauszukommen. Glauben Sie, dass da ein sanfter Über- gang vorstellbar ist? Ohne viel Reibung und Krach? S. Jeschke: Ich denke, es ist nicht zu erwarten, dass revolu- tionäre Übergänge ganz glatt verlaufen. Revolutionen sind dadurch charakterisiert, dass es dort „scheppert“, weil es zu Disruptionen kommt – man könnte das fast als einen Teil der Definition einer Revolution fassen. Prinzipiell erwarte ich, dass wir eine eher schnelle gesellschaftliche Akzep- tanz dafür bekommen. Noch vor hundert Jahren hatten Kunstschaffende nicht das Ansehen, das sie heute haben. Obwohl wir wissen, dass sie ihr Hobby zum Beruf machen, bringen wir Künstlern mehrheitlich eine hohe Akzeptanz und Sympathie entgegen. In der Wissenschaft haben wir ebenfalls viele Menschen, die keine Trennung zwischen pri- vatem Leben und Beruf machen – und zwar größtenteils aus Überzeugung. Das heißt, wir haben diese fließende Aufweichung von dem, was man gerne tut und dem, wo- mit man sein Geld verdient. Mehr und mehr können sich die Leute ihren Beruf frei wählen, weil Ständesysteme und Regularien das Arbeitsleben nicht mehr bestimmen. Trends wie die freieWahl des Arbeitsplatzes im Sinn von „ home of- fice “ und liberale Arbeitszeitregelungen sind im weitesten Sinn auch bereits diesem Umschwung zuzurechnen. Su: Ein Schuss Utopie zum Schluss: Wenn Sie in die Zukunft bli- cken könnten, wie sieht Ihre Gesellschaft 2066 aus? Oder noch- mals 50 Jahre später? Im täglichen Leben, beim Miteinander, politisch – wie auch immer? S. Jeschke: Ich stelle mir eine Gesellschaft vor, in der es jedem Individuum erlaubt ist, sich persönlich ent- wickeln zu dürfen. Sowie ich es bei mir wahrgenommen und erlebt habe: die Schulbildung, das Studium und den Beruf ergreifen zu dürfen, den ich ergreifen wollte. Und auch die Möglichkeit, mich immer wieder mit neu- en Gebieten befassen zu dürfen und mir immer wieder neue Ziele zu setzen. Diese Möglichkeit der individu- ellen Selbstentwicklung nicht für einige wenige, son- dern in einer großen Breite – das ist mein gesellschaft- liches Ideal. Dann wünsche ich mir eine viel größere Pluralität in der Gesellschaft. Gerade im Hinblick auf verschiede- ne Ethnien oder auch bezüglich diverser Familienent- würfe – das Aufbrechen von diesen Polen zu einer viel gemischteren Gesellschaft, Diversity, auf jeder Ebe- ne – ob es der Fachhintergrund der Einzelnen ist, der nationale Hintergrund, die sexuelle Orientierung… Ich wünsche mir einfach eine viel stärkere Durch- mischung, die die tatsächlich existierenden Teile der Gesellschaft viel stärker zusammenbringt. Wir sind heute zwar global gesehen eine sehr gemixte Gesell- schaft, aber lokal treffe ich immer „dieselben“. Viel quirligere, buntere Gruppen als Abbild der weltweiten Realitäten, das wäre meine Vorstellung. Und: Ich persönlich hätte gerne Tätigkeiten des Alltags- lebens, denen ich selber keinen großen Sinn zuordnen kann, abgenommen, von einem autonomen Transport- mittel, einem freundlichen Butler-Roboter oder kleinen dienstbaren Geistern wie Web-Agenten. Sei es Lebensmit- tel einkaufen, Spülmaschine ausräumen oder Auto fahren – damit ich in dieser Zeit das tun kann, was mir wichtig ist: Lesen. Natur. Werkeln in meiner kleinen Goldschmiede... Su: An dieser Stelle teilen sicher viele Ihre Vorstellungen. Frau Jeschke, ich bedanke mich sehr herzlich für das Gespräch. Diversity, auf jeder Ebene

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