UdZPraxis 2-2016

46 UdZ Praxis | Im Fokus the job“ für ein Studium qualifizieren kann. Dahinter steht ein sehr grundsätzliches egalitäres Prinzip Schwedens, das eine humanitäre Haltung hat und davon ausgeht, dass je- der Mensch Stärken hat und das Recht haben muss, diese zu einer Profession zu führen. Das steht als Prämisse über demGesellschaftsmodell, ist selbstverständlicher Kulturbe- standteil und wird nicht diskutiert. Eine Segmentierung wie in Deutschland – noch dazu in so frühem Alter – empfindet man dort als äußerst ungerecht. Demmodernen Schweden liegt ein sehr positives Menschenbild zugrunde. In den USA, wo ich auch einige Zeit gelebt habe, sticht die Internationalität besonders hervor. Unterschiedliche Kul- turen treffen dort in Schulen aufeinander und darauf wird positiv reagiert. Die USA sehen sich seit Jahrhunderten als Einwanderungsland, nutzen die Sprache und bestimmte Kulturelemente wie die Verfassung und ihre zentralen Konzepte als identifikationsstiftende Elemente, die nicht in Frage gestellt werden. Die Amerikaner sind mit einer sehr starken gesellschaftlichen Pluralität konfrontiert, so- dass eine Klassensystemgeschichte kaum vorstellbar ist – ein Klassensystem kann nur aufgebaut werden, wenn in Schubladen gedacht wird. Darum funktioniert Einwande- rung – und auch der Aufstieg der Einwanderer – in vielen Teilen der USA so verhältnismäßig gut. – Hoffen wir, dass diese phänomenale Fähigkeit der USA auch unter den neuen politischen Verhältnissen gegeben bleibt, weil es tief verankert ist in der Kultur der Nation! Keines dieser beiden beschriebenen Prinzipien trifft auf Deutschland zu. Wir öffnen uns den Themen Inklusion, Partizipation, Interdisziplinarität, Internationalität etc. nur langsam. So sehen wir etwa in Schweden viel international besetzte Vorstände großer Unternehmen, beim dänischen Konzern Maersk etwa sind 30 Prozent der Mitarbeiter Aus- länder und in der Kantine wird überwiegend Englisch ge- sprochen – um den Tischnachbarn nicht von der Kommuni- kation auszugrenzen. Deutschland ist immer noch ein sehr konservatives Land – hier diskutieren wir allen Ernstes, ob es vielleicht doch sinnvoll sein könnte, Studiengänge in Eng- lisch anzubieten (die meisten sind es nicht). Dieses Kapseldenken weitet sich eine Ebene tiefer, bei- spielsweise auf Schulen oder universitäre Strukturen, aus. In denNiederlanden, etwa der TUDelft, kannman erleben, wie sich neue Fachgebiete und interdisziplinäre Struktu- ren entwickeln. Um kurz auf das Thema Internationalisie- rung zurückzukommen: Die Kurse sind selbstverständlich in englischer Sprache, ebenso wie Gremiensitzungen der Fakultäten – damit sich auch die „Zugereisten“ entspre- chend einbringen können. Das ist aber längst nicht der ein- zige Punkt der Veränderungen. Hierzulande gibt es eine gewisse Verkrustung, die auch das Ergebnis einer langen, sehr erfolgreichen Tradition ist. Verkrustungen entstehen dort, wenn etwas lange gut funktioniert und deshalb kein Veränderungsbedarf empfunden wird. Die Gefahr ist, den richtigen Zeitpunkt für den Wandel zu verschlafen... Su: Uns werden Veränderungen erwarten bezüglich des Stel- lensterbens im Zuge der zunehmenden Digitalisierung. Gleich- zeitig werden in den MINT-Fächern zukünftig zum jetzt schon hohen Bedarf noch sehr viel mehr Arbeitskräfte benötigt wer- den. Unweigerlich werden ja ganze Berufsbilder wegfallen und heute schon merkt man, dass es für manche Fähigkeiten und Talente nicht mehr genug Stellenangebote gibt. Ich persönlich fühle mich sofort an den kulturellen Bereich erinnert, in dem ein immenser Stelleneinbruch verzeichnen ist. Es geht hier auch gleichsam um ein Ungleichgewicht bei Angebot und Nachfrage, sicher auch, was die jeweilige Eignung der Stellensuchenden an- geht. Wäre es vorstellbar, den Menschen mit den ökonomisch vielleicht nicht so gefragten Begabungen trotzdem Möglichkei- ten zu schaffen, mit ihrem Können Geld zu verdienen, natürlich insofern andere Menschen davon auch Nutzen haben, wie im kulturellen Bereich? S. Jeschke: Das würde ich fast so stehen lassen, denn ge- nau darum geht es. Ich möchte aber nicht die Formulie- rung „Stellen schaffen“ verwenden, weil wir uns grund- sätzlich von diesem Prinzip, Stellen zu regulieren und mit Menschen zu besetzen, die genau die ausgeschriebenen Fächer studiert haben, entfernen müssen. Mit dem Feld der vergleichenden Sprachwissenschaften etwa befasse ich mich viel und gerne, aber nicht, um in diesem einmal berufstätig zu sein, sondern weil mich der Gegenstand fasziniert. Ich will Zugang haben zu Information, Bildung und Ausbildung. Der Ausbildungsbegriff ist im Sinne eines bestimmten Zwecks automatisch stigmatisiert. Und ich glaube, es muss hier stärker in die Richtung gehen, dass wir in un- serer Persönlichkeitsentwicklung weniger in Kategorien von „Job“ und „Arbeitsmarkt“ denken: Wir brauchen als Menschen nicht per se Jobs, sondern sinnvolle befriedi- gende und stimulierende Aufgaben und Beschäftigungen. Das Bild von Stellen im klassischen Sinne mit dem Druck der „Arbeitsmarktpassung“ müssen wir mittelfristig überwinden. Der künstlerische Bereich hat sich in dieser Hinsicht mit seinem weit verbreiteten Bohème-Denken immer schon sehr leicht getan, aber das müssen wir viel grundsätzlicher zulassen.

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