UdZPraxis 2-2016

45 Im Fokus | UdZ Praxis Wir kommen aus einer Gesellschaft, die, jedenfalls im Mit- telalter, in Bezug auf Zugang zu Bildung und damit zu In- formationsressourcen, nach oben sowie nach unten abge- grenzt war. Und wir kommen aus einer extrem verteilten oder auch asymmetrischen gesellschaftlichen Konstrukti- on, wo verhältnismäßig wenige Leute lesen und schreiben konnten und das gesamte Weltwissen in Klöstern gespei- chert war, und damit auch die Macht einer kleinen Gruppe vorbehalten. Im Rahmen von diesen ganzen Revolutionen, die im Grunde genommen Digitalisierung als langfristiges Phänomen vorbereitet haben, begonnen beim Buchdruck, haben wir uns – mit allen Ecken und Kanten – als Gesell- schaft zu einem viel egalitäreren Prinzip weiterentwickelt. Diese Entwicklung setzt sichmit dem Internetzeitalter fort, in einer noch umfassenderen Weise: Denn das Individuum muss nichtmehr Besitzer eines Brockhaus sein –was jawie- der eine gesellschaftliche Selektion bedeuten würde – es kann die Informationen in der Wikipedia nachlesen, und al- les was notwendig ist, ist Computer- und Netzzugang, und hier reduzierten sich die Kosten in den vergangenen Jahre so stark, dass davon auszugehen ist, dass hieraus mittel- fristig sämtliche Zugangsbarrieren praktisch verschwinden werden. Noch ist es nicht so – das ist aber der Trend. Eine Kernfrage richtet sich also auf diese Singularität, in die wir uns entwickeln. Wenn ich mit einer asymmetrischen Ge- sellschaft starte und etwa beweisen kann, dass die industriel- len Revolutionen im Kern zu mehr Gleichheit geführt haben, dann muss diese Kette logischerweise abbrechen, wenn alle gleich sind. Das führt wieder zu einem Singularitätsschluss, weil „gleicher als gleich“ unmöglich ist. Und das ist es, was ich im Moment beobachte: Der Zugang zu Informationen ist jederzeit überall möglich. Jeder kann einUnternehmen grün- den oder lässt sich Bauteile aus allen Ecken der Welt zulie- fern. Je größer die Möglichkeit von allen – Menschen, Organisationen, Nationen – ist, auf beliebigeProduk- tionsmittel, als auch auf Informationsmittel zuzu- greifen, desto stärker wird die Gleichberechti- gung im Zugang zu „Industrie 4.0“. Nach der Gleichheit kann nichts mehr kommen. Su: Bildung ist ein zen- traler Gestaltungs- pfad für die Zukunft: Bildung als Informationsteilhabe, Kinder heranzuführen an Wissen, breite Bildung auch für Erwachsene, Lernen im Internet usw.: Regelmäßig ist im Bildungsdiskurs zu lesen, dass Deutschland im Hinblick auf Zugang zu Bildung viel weniger durchlässig sei als andere Länder, weil eben immer noch zu beobachten ist, dass Bildungswege vorgezeichnet sind, dass die Herkunft den Schul- und Ausbildungswerdegang bestimmt und das Ausbre- chen aus diesenWerdegängen von unten nach oben nicht allein mit Intellekt, Fleiß und Engagement zu schaffen ist. Ist dies Ihrer Meinung nach tatsächlich in der Hauptsache tra- diertem Standesdünkel geschuldet, dass das Schulsystem in Deutschland offensichtlich nicht so durchlässig ist? Oder ist es mehr eine Schulsystemproblematik, weil tatsächlich einige an- dere europäische Länder in der Schulentwicklung wesentlich reformorientierter sind und unseres eventuell nicht gut geeig- net ist, auf die neuen Arbeitsformen vorzubereiten? Liegt es an Bildungsplänen, die falsch ausgelegt sind, weil man nicht die richtigen Themen oder Fächer in den Mittelpunkt stellt? – Wo- bei „richtig“ hier auch noch zu diskutieren wäre. – Was haben Sie hier für einen Eindruck? S. Jeschke: Das ist tatsächlich ein sehr komplexes Pro- blem. Als Halbschwedin kann ich auf die dortigen Erfah- rungen zurückgreifen. Dort machen derzeit knapp 80 Prozent der Menschen ein Abitur. Allerdings gibt es sehr unterschiedliche Abiture, etwa dem System von Volla- bitur und Fachabitur entsprechend, und die verschiede- nen Fachabiture spielen – anders als bei uns – eine sehr prominente Rolle. Hinzu kommt, dass man sich auch „on Verkrustungen ent- stehen, wenn es „zu gut läuft“

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