UdZPraxis 2-2016

44 UdZ Praxis | Im Fokus der Kooperation mit solchen Systemen, die von der Masse mutmaßlich nicht so groß ausfallen wie die bisherigen. Die Prognose ist, dass die Ansprüche an diese Jobs sehr hoch sein werden. Der andere Punkt ist aber, dass es bestimmte Situa- tionen und Rollen im Leben gibt, in denen, völlig egal, wie gut ein Roboter arbeitet, der Mensch ihm dennoch vorzuziehen ist. Nehmen wir etwa die Grundschule – ein Roboter könnte dem Kind vermutlich Vokabeln in das Gehirn pauken, er wäre vielleicht sogar geduldiger – doch Schule ist ja nicht nur ein Ort des Faktenlernens, sondern auch ein Ort gesellschaftlicher Erziehung und Sozialisation. Ein Lehrer hat eine Vorbildfunktion, er ist “Modell für gesellschaftliche Regeln“, Kulturver- mittler in Bezug auf die eigene Art. An der Stelle spielt der Mensch eine so wichtige Rolle, unabhängig davon übrigens, ob er oder sie in dieser Rolle perfekt ist. Es gibt Situationen, wo diese Gleichartigkeit – Mensch zu Mensch also – genau der ausschlaggebende zentrale Punkt ist. Und das ist tendenziell in allen sozialen Be- reichen so, egal ob in der Erziehung oder der Medizin. Die medizinische Diagnostik mag ein Elektronenhirn besser durchführen können, anders sieht es aber mit der Vermittlung einer schlimmen Botschaft an den Patienten und seine Familie aus, wo der menschli- che Faktor entscheidend ist. Deshalb glaube ich, dass diese Art von Verschiebung stark werden wird, diese Orientierung aufs humane bis hin zu humanistischen Kompetenzen – in seiner Bedeutung als „von der Ach- tung der Würde des Menschen geprägt“. Su: Sie haben ja vorhin schon beschrieben, dass die früheren in- dustriellen Revolutionen ja auch schon auf das gesamte Leben der Menschen Auswirkungen hatten, nicht nur auf einen Teilbereich – industrielle Revolutionen also schon früher zu massiven Umwäl- zungen geführt haben. Trügt denn der Eindruck, dass die Verände- rungen und Umwälzungen noch nie so weit gegriffen haben, wie es dieses Mal rund um Industrie 4.0 der Fall zu sein scheint? S. Jeschke: Es gibt zwei Tendenzen in der Geschichte: Zum einen ist die Entwicklung stets auch geprägt von Wellen- bewegungen und wiederkehrenden Phänomenen. Zum anderen haben radikale und irreversible Disruptionen, wie beispielsweise die Entwicklung des Buchdrucks, der Wissen demokratisierte, in die Aufklärung geführt und unumkehr- bare gesellschaftliche Veränderungen eingeläutet. Jetzt haben wir eine Situation, wo wir in Wellenbewegun- gen verschiedenste Steigerungen für Automatisierungs- technik haben und Automatisierung von Prozessen ganz allgemein erleben. Autonome Autos etwa sind keine grund- sätzlich ganz neue Idee – beforscht werden sie seit rund 60 Jahren, in Fabriken sind fahrerlose Transportfahrzeuge – sogenannte FTFs – gang und gäbe, usw. Aber gleichzeitig erleben wir diesen disruptiven Durchbruch in der Künstli- chen Intelligenz, der innerhalb von kürzester Zeit mögli- cherweise dazu führt, dass wir eine völlig neue Form ver- netzter intelligenter Systeme vorfinden. Weder wird deren Intelligenz wieder verschwinden noch ihre Vernetzung. Beim autonomen Fahren bedeutet der Durchbruch, dass diese Systeme sich auch in unstrukturierten und sich dy- namisch verändernden Gebieten wie einer normalen Stadt sicher bewegen können. Natürlich haben wir Menschen immer die Tendenz, das aktuelle Problem für die größte Herausforderung zu hal- ten. Aber die vierte Revolution ist tatsächlich eine außer- ordentlich „ganzheitliche“: Alle technologischen Revolu- tionen haben zur Erhöhung von Informationstransparenz geführt. Die digitale Revolution erfasst alles, umfasst alles und macht alles transparent. Das führt aber in eine Singu- larität – transparenter sein als transparent ist nicht mög- lich. Vor diesem Hintergrund könnte die aktuelle auch die letzte Revolution dieser Art sein. Su: Diese Einschätzung teile ich, denn selbst wenn auch bei den letzten drei industriellen Revolutionen nicht nur Teilbereiche des menschlichen Lebens betroffen waren, sondern die Auswir- kungen wirklich machtvoll und weitgreifend, so empfinde ich die Veränderungen durch die sogenannte Industrie 4.0 bzw. Digitalisierung als noch massiver und umwälzender. Das ganze Zusammenleben würde sich, wenn man die jetzige Entwicklung stringent weiterdenkt, bezüglich wirklich jeden Teilbereichs, ob in Beziehungen, Familie, Bildung, Kultur, sozialen Einrichtun- gen wie z. B. Altenheimen, Versorgungssystemen oder Gesund- heitswesen wie auch Krankenversicherungen, völlig anders gestalten. Ich empfinde das schon als wesentlich machtvoller in den Auswirkungen für jeden Einzelnen als beispielsweise die Anfänge der Massenproduktion. S. Jeschke: Anhand der genannten Bereiche lässt sich zei- gen, dass auch die früheren industriellen Revolutionen sehr breit gewirkt haben. Egal welche gesellschaftlichen Para- meter man betrachtet – Säuglingssterblichkeit, Zugang zu Bildung, Partizipationsmodelle in der Politik, ... – so stellt man fest, dass diese sich stets sehr massiv gerade dann verändert haben, als die verschiedenen industriellen Re- volutionen griffen. Ich würde fast anders argumentieren, nämlich eher soziologischer oder politischer:

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