UdZPraxis 2-2016

42 UdZ Praxis | Im Fokus Und damit übrigens funktioniert unsere gesamte Kon- zeption der Intellectual Property Rights , also dem Recht am geistigen Eigentum, nicht mehr. Patentanmeldungen sind sehr aufwendig, kosten Tausende von Euro und es hat demnach kaum Sinn, sie durchzuführen, wenn sie viel- leicht aufgrund von Nachfolgeinnovationen nur eine kur- ze Zeitspanne wirksam werden. In der Folge verschiebt sich der gesamte Besitzbegriff. Wieder wird deutlich, wie ganzheitlich die vierte industrielle Revolution unser Ge- sellschaftsbild verändert. Su: Eine ähnliche Problematik besteht ja bei der Debatte um Chancen und Risiken von Big Data, in Zusammenhang damit, was mit privaten Daten passiert und was von wem wann wem preisgegeben werden soll... S. Jeschke: Diese Gedanken gehen nochmals in eine andere Richtung. Es gibt da im Grunde zwei Privacy-Debatten: zum einen die bezüglich des Schutzes meiner Leistungen, um da- von leben zu können. Das funktioniert nicht mehr in der klas- sischenWeise aus den eben beschriebenen Gründen. Zum anderen gibt es einen Privacy-Issue-Aspekt, wo es zum Beispiel um die Daten auf unseren mobilen Devices geht, die eine lückenlose Rekonstruktion unserer Aktivi- täten erlauben, oder darum, unsere medizinischen Daten zur Verfügung zu stellen, um auf dieser Basis eine intelli- gente Diagnostik zu machen. Die Angst besteht hier nicht vor der Diagnostik an sich – eine Verbesserung der Diag- nostik wird man sich im Allgemeinen sicher wünschen – , sondern davor, dass beispielsweise Krankenkassen auf der Basis solcher Daten möglicherweise Menschen vom Versicherungsschutz ausschließen aufgrund ei- nes Gendefekts oder Tumors etc. Das führt in eine ganz andere Richtung. Hier stehen wir vor einer sehr grundsätzlichen Entschei- dung, mit weitreichenden gesellschaftlichen Konsequen- zen. Der zentrale Punkt von Big-Data-Technologien ist ja gerade, dass sie in der Regel umsowirksamer sind, jemehr Daten zur Verfügung stehen. Gesetzt den Fall, wir stellen unsere Vitaldaten zur Verfügung, dann verbessern wir die Datenbasis für die medizinische Prognostik und hel- fen damit uns selber ebenso wie allen anderen: Dann ist diese Transparenz automatisch da, das ist ja die Vorbedin- gung. Hier aber müsste man dann gesamtgesellschaftlich zu dem Konsens kommen, dass ein Krankenkassenaus- schluss nicht mehr möglich sein darf. Analog dazu könnte man argumentieren, dass ja auch jedes Kind zur Schule gehen darf, egal wie hoch sein IQ oder seine allgemeinen Erfolgsaussichten sind. Dazu gibt es einen Grundkonsens in unserer Gesellschaft, der besagt, dass ein Recht auf Bildung besteht, unabhängig von irgendeiner Form von „Voraussetzungen“. Ebenso könnte es sich mit der Kran- kenversicherung verhalten. Reformen werden notwen- dig, die Konzepte müssen entwickelt, breit in der Gesell- schaft verankert und realisiert werden. Su: Da gibt es nun seitens der Politik großen Handlungsbe- darf. Denken Sie, dass es hinsichtlich konkreter Gesetzge- bungen bereits Überlegungen gibt, die präventiv einen Rahmen für zukünftige Entwicklungen geben könnten, auch wenn noch nicht ganz klar ist, welche Entwicklungen genau es in Zukunft geben wird? S. Jeschke: In komplexen Szenarien ist es ausgesprochen schwierig, ohne das „Ausprobieren“, also ohne ein lau- fendes Experiment zu validen Aussagen zu kommen. Man kann nicht alles vorhersehen, durchplanen und lückenlo- se Be- und Entschlüsse fassen. Das heißt natürlich auch, in einer Durchführungsphase auch Nebeneffekte zu haben, die in dem Moment nicht angenehm sind. Um es plakativ zu beschreiben: Man kann, wird und muss autono- me Autos zulassen. Und natürlich werden auch diese nicht unfallf- rei bleiben, jedoch in sehr kurzer Zeit deutlich sicherer agieren als menschliche Autofahrer. Aber es werden andere Unfälle sein, denn die Reaktionsge- schwindigkeiten solcher Systeme liegen weit ober- halb der des Menschen, Auffahrun- fälle z. B. sollten also seltener werden. Gleichzeitig fehlt ihnen zunächst aber so etwas wie „Bewertungskompetenz“, bis hin zu „allgemei- nemgesundenMenschenverstand“. Entlang der Einführung werden wir erst erfassen, welche Unfälle tatsächlich auftre- ten, wie eine solche Bewertungskompetenz vielleicht doch erreicht werden kann und wie grundsätzlich schadensrecht- lich und ethisch reagiert werden muss. Um es plakativ zu sagen: Man muss autonome Autos zulassen. Reformen müssen her

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