UdZPraxis 2-2016

37 Im Fokus | UdZ Praxis hen – unbedingt dort entstehen, wo andere verlorengehen? Vielleicht entstehen sie ja tatsächlich – aber nicht unbedingt im Kontext der Produktion. Gesamtgesellschaftlich betrachtet hätten wir „genug zu tun“ – etwa im Bereich von Gesundheit und Pflege, im Bereich der Bildung, der Inte- gration von Zuwanderern, der Kreativwirtschaft und vielen weiteren. Wir ziehen die Systemhülle zu eng. Und verfallen dann in Panik weil es – wenn man die ganze 4.0-Entwicklung einmal verstanden hat – ziemlich offensichtlich ist, dass Produktion mit immer weniger Menschen auskommen wird. Auch dann, wenn es innerhalb der Produktion zu gewissen Verschiebungen kommen wird und das Bild der menschenlosen Fabrik jedenfalls in naher Zukunft nicht die Realität bilden wird. Die Gesamtanzahl der Arbeitsplätze in diesem Bereich wird weiter sinken, und das bei steigenden Produktionszahlen, höherer Qualität und größerem Variantenreichtum. Ebenso fehl am Platz wäre es allerdings, sich jetzt in naiver Zuversicht zu wiegen, nach dem Motto: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Hier wird gerne argumentiert, dass das Verschwin- den von Jobs im Kontext massiver Automatisierung nicht neu sei und insbesondere in der zweiten industriellen Revolution sogar zu einer positiven Arbeitsmarktentwicklung geführt habe. Das ist zwar richtig, aber historische Parallelen sollte man nicht überstrapazieren, denn die vorliegenden Bedingungen sind heute völlig andere: Die Mehrheit der damaligen Jobs in der Industrie entsprach überhaupt nicht den menschlichen Fähigkeiten. Der Abbau der vielen einfachen Tätigkeiten vollzog sich parallel zum Streben des Individuums nach höherer Bildung. Zudem verlief die Automatisierung damals viel langsamer, eine ganze Generation konnte sich auf die neuen Verhältnisse einstellen. Heute herrscht in beiden Punkten eine komplett andere Situation: Zum einen ist die Leistungsfähigkeit der Menschen nicht unbegrenzt zu steigern, zum anderen ist die Zeitskala, getrieben durch Digitalisierung und Globalisierung, eine viel kürzere – wir stehen mitten in revolutionären Veränderungen. Neujustierung unseres Weltbildes Diese Umwälzung betrifft längst nicht nur die Industrie, sondern praktisch alle gesellschaft- lichen Bereiche. Deshalb müssen wir auch bei der Suche nach Lösungen radikaler denken. Es wird Zeit, dass wir unser Weltbild neu justieren. Berücksichtigen müssen wir auch, dass nicht nur in der Produktion und dem Niedrig- lohnsektor Arbeitsplätze verlorengehen werden. Ein gutes Beispiel liefert hier das syste- matische Sterben großer Enzyklopädien und ihrer top-qualifizierten Mitarbeiter, während Wikipedia das Rennen macht. Das Bun- deskartellamt hat 2009 die Übernahme von Brockhaus durch Bertelsmann trotz dessen marktbeherrschender Position ge- nehmigt, weil „der Lexikonmarkt zu einem Bagatellmarkt ge- schrumpft“ sei. Viele weitere Beispiele ließen sich anführen, so etwa die Umwälzungen in Reisebüros oder Apotheken, im Journalismus oder die Bedrohung von Lehrern und Professoren durch MOOCs. Im Grunde genommen gibt es kaum ein Berufs- feld, das durch die fortschreitende Digitalisierung nicht in Frage gestellt wird. Wer das nicht glaubt, sollte sich nur mal daran erinnern, was wir bis vor zehn Jahren über das Verfassen hochqualitativer Enzyklopädien gedacht haben. Bloß weil wir uns etwas nicht vorstellen können, heißt das nicht, dass es nicht geht.

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